Psychotherapie und Strafverfahren - kein Widerspruch
Psychotherapie und Strafprozess – geht das überhaupt?
Es wird mitunter beschreiben, dass sich Gerichte und Staatsanwaltschaften für eine Unterbindung von psychotherapeutischer Behandlung vor Abschluss des Strafverfahrens aussprechen. Argumentativ werde dabei darauf abgestellt, dass durch eine Behandlung die eine Zeugenaussage begleitenden Emotionen abgeschwächt würden, worunter in der Folge die Glaubhaftigkeit zu leiden drohe, sodass die Traumatisierung des Opfers schlichtweg nicht mehr zu spüren sei. Weiterhin werde befürchtet, dass sich die Erinnerungen des Opfers im Verlauf der Therapie in relevanter Weise verändern oder neue Erinnerungen erstmalig auftauchen (Schemmel & Volbert, 2021).
Besondere Brisanz erfährt diese Überlegung, wenn man die daraus resultierenden Entwicklungen z. B. im Fall in Lügde betrachtet: In einem Wohnwagen war eine große Zahl von Kindern sexualisierter Gewalt ausgesetzt, die teilweise auch beim Täter in Pflege gegeben worden waren. Hier versuchte die Polizei aufgrund der Grenzen der Methodik der Glaubhaftigkeitsbegutachtung die Sorgeberechtigten dahingehend zu beeinflussen, dass diese trotz belastender Symptomatik ihrer Kinder keine Beratung oder Behandlung aufsuchen sollten, damit durch solche Interventionen die Aussage der Kinder nicht verfälscht werde (Fegert et al., 2024). Dies ist ein praktisches Beispiel dafür, wie die rechtliche Stellung von Geschädigten/Opfer(-zeug*innen), in diesem Fall geschädigten Kindern, in den Hintergrund gerät, da die Befürchtung, die Aussage könne beeinträchtigt werden (oder die Symptombelastung könne bei Gericht nicht mehr „spürbar“ sein) jegliche Sicht auf Gesundheit und Wohl der Kinder in den Hintergrund geraten lässt.
„Noch bis vor kurzem war es üblich, dass die Polizei Betroffenen von Straftaten prinzipiell geraten hat, trotz belastender Symptomatik auf eine Psychotherapie zu verzichten, damit die Aussage durch die Krankenbehandlung nicht verfälscht wird“ (Fegert et al., 2024, S. 9).