Wenn Nähe verschwindet: Fehlende Objektkonstanz bei Traumatisierungen

Ein zentrales Thema für viele traumatisierte Menschen ist die fehlende Objektkonstanz. Unter „Objektkonstanz" versteht man die Fähigkeit, eine innere Verbindung zu wichtigen Menschen aufrechtzuerhalten auch dann, wenn diese gerade nicht anwesend sind.

In einer sicheren Bindung während Kindheit entwickelt sich die Gewissheit: „Mama oder Papa sind noch da, auch wenn sie gerade nicht sichtbar sind. Sie lieben mich auch dann, wenn sie nicht direkt bei mir sind." Die Bindung kann also aufrecht erhalten werden, auch wenn die Eltern vorübergehend abwesend sind. Das Kind ist in der Lage, alleine zu sein, ohne sich einsam zu fühlen und Angst zu bekommen.

Für Menschen, die früh traumatische Erfahrungen gemacht haben, ist genau diese Sicherheit jedoch oft zerbrochen oder konnte nie entstehen.

Selbst wenn der Verstand weiß, dass es nicht so ist, fühlt sich das Nervensystem an, als wäre die Beziehung tatsächlich weg.

Viele Betroffene beschreiben es so, als würden sie kein “inneres Fotoalbum” von wichtigen Menschen haben. Sobald die Person nicht anwesend ist, verblassen die Bilder, verschwinden die Gefühle; Es bleibt nur Leere oder Angst.

Wie kann sich eine fehlende Objektkonstanz im Alltag zeigen?

Veränderte Beispiele aus der Praxis:

Wenn deine Beziehungsperson ein paar Tage weg ist verlierst du innerlich den Kontakt. Auch wenn du rational weißt, dass die Person zurückkommt, fühlt es sich innerlich an, als wäre sie wirklich “verschwunden”. Wenn deine Beziehungsperson körperlich nicht präsent ist (keine Umarmung, keine Berührung) hast du sofort das Gefühl von Leere, als ob die Liebe weg wäre. Menschen sind für dich entweder ganz nah und bedeutsam oder plötzlich komplett distanziert oder “gefährlich”. Ein stabiles Bild „dazwischen" ist schwer zu halten.

Wie kann sich eine fehlende Objektkonstanz im Alltag zeigen?

Veränderte Beispiele aus der Praxis:

Deine Beziehungsperson erzählt von Plänen ohne dich, für dich fühlt es sich so an, als hätte sie dich vergessen und die Beziehung innerlich schon beendet.

Ein Freund sagt ein Treffen ab, statt zu denken „er ist müde/gestresst" kommt sofort „ich bin ihm nicht wichtig".

Eine Freundin meldet sich länger nicht, innerlich ist sie für dich wie „verschwunden", fast so, als hättest du nie eine Verbindung zu ihr gehabt.

Innerhalb der Therapie:

• Zwischen den Sitzungen: Dein Gefühl, die Therapeutin existiere nicht mehr oder habe dich “vergessen”. Wenn die Therapeutin Urlaub hat fühlt es sich für dich wie ein Verlassenwerden an. Kaum bist du aus dem Raum, fühlt es sich an, als hätte die Therapeutin dich nie wirklich gesehen oder verstanden. Alles, was in der Stunde an Verbindung war, wirkt wie gelöscht.

• Wenn sich am Aussehen der Therapeutin etwas ändert (Haarfarbe, anderes Outfit/anderer Stil) oder auch einen anderen Tonfall benutzt etc., kann das Verunsicherung auslösen: „Bin ich ihr fremd? Hat sie sich verändert? Ist sie noch dieselbe?"

• Du siehst eine andere Patientin im Wartezimmer und dir wird bewusst, dass die Therapeutin auch andere Patient:innen hat; das löst Eifersucht oder Schmerz aus: „Dann bin ich nicht besonders. Sie wird mich vergessen."

Fehlende Objektkonstanz ist ein häufiges Thema bei Traumafolgestörungen. Es betrifft oft mehrere Bereiche des Alltags und ist daher für Betroffene meist sehr belastend!

Die gute Nachricht: Objektkonstanz ist etwas, das sich in einem gewissen Maß nachentwickeln kann.

Durch stabile, verlässliche Beziehungen - sei es in Therapie, Freundschaften oder Partnerschaften - entsteht langsam ein inneres Gefühl: „Auch wenn der andere gerade nicht da ist, bin ich nicht verlassen."

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Jeannine Lewicki   |   Tags: trauma